Dolomiten: Bilder für die Ewigkeit

Als ich Kurt Moser kennenlernte war es 6 Uhr morgens, arschkalt und es dämmerte gerade auf dem Gipfel des Berges wo ein Konzert statt finden sollte. Er war dort, um für einen Fernsehsender zu drehen, und ich, um eine Multi-Media-Reportage zu machen. Früh morgens um 5 bin ich den Berg mehr hinauf gestolpert und hatte vor lauter Schläfrigkeit mein Stativ vergessen. Kurt war total nett und half mir aus. Und so  kamen wir ins Gespräch. Er erzählte mir von einem Projekt, das mich sofort faszinierte: er wollte mit einer uralten Kamera die Berge auf Ambrotypie-Fotos festhalten. Toll, dachte ich, das will ich sehen. Und 1 Jahr später war es dann soweit, ich durfte dabei sein, als er auf dem Puez Geisler ein Bild für die Ewigkeit machte.

Kurt Moser wählt das passende Objektiv aus

Kurt Moser wählt das passende Objektiv aus

1 Tag für 1 Foto

Den ganzen Tag hat er dieses eine Foto vorbereitet. In seiner gelben Plastikschürze und den langen, wehenden Haaren sieht der 50 jährige aus wie ein Hexenmeister. Stundenlang ist er hin und her gelaufen zwischen Kamera und Labor. Das befindet sich in einem umgebauten Lieferwagen, wo er geheimnisvolle Lösungen mixt und Silberbäder fertigmacht. Zwischendurch schaut er immer wieder fragend und forschend zum Felsmassiv der Dolomiten, als läge dort eine Antwort auf das Leben. Und dann fällt ganz beiläufig so ein Satz:

„Das war alles mal unter Wasser. Und jetzt schau diese massiven Gebilde an: gebaut von Milliarden von klitzekleinen Korallenwesen. Ist das nicht Irre? Man ist so klein hier oben“ und mit brüchiger Stimme „das ist es vielleicht warum ich das tue. Man vergisst einfach den Rest der Welt.“

Fotografieren wie zur Jahrhundertwende

Fotografieren wie zur Jahrhundertwende

Früher Kriegsberichterstatter – heute entschleunigtes Fotografieren

Hier oben im Puez-Geisler Naturpark ist es ruhig, die Luft glasklar. Ab und zu pfeift ein Murmeltier. Ansonsten Stille. Lärm hatte Moser in den letzten 30 Jahren genug. Als Fotograf und Kameramann war er für die großen internationalen Fernsehanstalten wie ARD, BBC, Arte und Deutsche Welle in Krisengebieten unterwegs. Afghanistan, Syrien, Iran, Irak, Bosnien, Kosovo, Israel, Kurdistan. Was ist von all den Erlebnissen geblieben, fragte er sich mit Ende vierzig. Nichts als digitales Rauschen und flüchtige Bilder. Sollte das alles gewesen sein, nach so vielen Jahren? Jetzt ist er in seine Heimat zurück gekommen, will bleiben und Bleibendes schaffen. Mit einer Projektidee, die ebenso gewaltig zu sein scheint wie die Berge, die er so liebt. Er will die Dolomiten und einige seiner Bewohner, vorzugsweise fast hundertjährige Bauern, mit einer uralten Fototechnik, der Ambrotypie, auf 100 mal 150 cm großen Glasplatten verewigen. Mit dieser ganz besonderen Kamera, die er keineswegs gesucht sondern auf fast schicksalhafte Weise gefunden hat, wie er beteuert.

Ein Ambrotypiephoto von Kurt Moser

Am Ende wird das Foto gebadet, wie ein Säugling

Ambrotypie-Fotografie: eine Kunst aus vergangenen Zeiten

An einem Herbsttag 2013 fährt er nach Mailand auf der Suche nach neuen Optiken. Zufällig entdeckt er unter einer zentimeterdicken Staubschicht eine Kamera aus dem Jahr 1907. „Ich fand die einfach nur schön, wußte in drei Sekunden, dass ich die haben muss“ wird er später sagen. Er kauft die fast zwei Meter große Holzkamera für 500 Euro und schleppt sie nach Bozen, ohne zu wissen was er damit anstellen soll. Erst zu Hause stellt er fest: für diese Kamera gibt es gar keine Filme. Danach verbringt er fünf Monate lang in der Dunkelkammer und versucht ein Foto im Ambrotypie-Verfahren herzustellen. Kein einziges sei gelungen. Er sei fast verzweifelt.

Alte Bauern und die Dolomiten

Aber Moser sagt sich:“ Hey, die haben das 1850 geschafft, warum sollte ich das nicht schaffen.“ Und hält durch, bis die ersten Bilder gelungen sind. Von Bergen und von urigen Bauern.

 

Sepp, 94 Jahre, arbeitet jeden Tag auf dem Feld

Sepp, 94 Jahre, arbeitet jeden Tag auf dem Feld

Bauer Sepp Messner ist so einer, 94 Jahre alt. Seine Frau ist schwerhörig und brüllt ins Telefon er sei nicht zu sprechen. Der Sepp sei auf dem Feld, Heu einholen. Kurt Moser lacht. Ja, so ist er, der Sepp. Nicht zu bremsen. Er sucht ihn also auf dem Feld und findet ihn an einem Steilhang. Kommt kaum hoch der starke Kerl. Aber Sepp arbeitet da in der Schräge, die dünnen Beinchen breit aufgestellt, klein und zäh, mit dem Rechen und schaufelt das getrocknete Gras zur Seite, hält inne, winkt, wedelt mit dem Hut und lacht. Herzlich die Begrüßung. Moser nimmt sich gleich einen zweiten Rechen und packt mit an. Und dann gehts erst mal in die Stube für eine „Erfrischung“.

Der alte Mann und seine Stube

Sepp macht auch im Alter alles was man halt so macht in den Bergen: auch jagen

Den Sepp hab ich kennengelernt und war dabei, als sein Foto gemacht wurde. Da musste der quirlige, alte Mann ganz schön lange still halten. Und die Paola, 91 Jahre alt, haben wir auch besucht, in Alto Badia. Viel Geduld brauchen die alten Leutchen da, aber am Ende kommt ein einzigartiges Foto heraus.

Ambrotypie-Foto von Kurt Moser

Ambrotypie-Foto von Kurt Moser

 

Leidenschaft und eine Prise Besessenheit gehört dazu

Ja, verrückt sei das schon, gibt Moser zu. Aber er wisse genau was er tue. Fast zwei Jahre experimentiert er nun mit der alten Kamera, hält jedes Detail, jede Lösung und jede Sekunde Belichtung in einem kleinen Büchlein handschriftlich fest. Wie ein Koch auf der Suche nach neuen Rezepten. Und wenn er heute mit wirrem Haar und schweißnasser Stirn kurz vor dem Auslösen neben seiner Kamera vor einem Felsmassiv steht, ist all sein Mühen, sein jahrelanges Probieren und Austesten in diesem Moment präsent. Er atmet tief ein, verwurzelt sich mit der Erde, atmet aus, zieht die schwarze Objektivkappe ab und zählt die Sekunden der Belichtungszeit bevor er sie wieder schließt. Dann bleiben ihm genau 5 Minuten um das Bild zu entwickeln. Er rast mit der Platte quer über die Almwiese in sein mobiles Labor. Man hört es gluckern und knacksen, klicken und rauschen. Und dann kommt er raus.

gebadet wie ein Baby: das Foto

gebadet wie ein Baby: das Foto auf Glas

Jedes Foto ein Unikat – Bilder für die Ewigkeit

Während das Abendlicht die Zacken der Geislergruppe gerade in zartrosa taucht, erscheinen sie auf der schwarzen Platte überirdisch schön in schwarz-weiß und einer ganz besonderen Patina. Dieses eine Photo wird für immer ein Unikat sein. Es kann nicht vergrößert oder verkleinert, nicht vervielfältigt und nicht bearbeitet werden. Es bleibt für immer so, wie es ist. 2019 wird es im Museum für Fotografie in Berlin, in New York und London ausgestellt werden. Kurt schaut sein Bild an und strahlt. Jetzt entspannen sich seine Züge, sein Blick wird weich. Er setzt sich ins Gras, eine Flasche Bier in der Hand, schaut auf die Berge und prostet ihnen zu.

die Geisler Spitzen im Abendlicht

Abendrot auf den Geisler Spitzen, Dolomiten

Im Mai 2017 habe ich über diese Geschichte eine Reportage für das WDR Fernsehen gedreht. Sie läuft am 13.9.17 um 22:55, dauert 30 Minuten und hier könnt ihr sie in der Mediathek anschauen.

Die Website von Kurt Moser findet ihr hier

4 Gedanken zu „Dolomiten: Bilder für die Ewigkeit

  1. tribaleye13

    Eine wirklich gelungene und sehr stimmungsvolle Reportage. Und nicht zuletzt sicher ein tolles Erlebnis! Mir (selber Fotograf) erschließt sich der Aufwand zwar nicht, aber ich kann auch nicht nachvollziehen, wie man etwa eimen Auto aus den 1950er Jahren seine gesamte Freizeit widmet. Jeder Jeck ist anders sagen wir Kölner, und Kurt ist ein Jeck – aber er produziert damit immerhin tolle Ergebnisse!

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  2. Hajo Müller

    Liebe Gitti,

    Ich durfte ja schon malmTeile der Rohfassung beim Schneiden mit anschauen.
    Der fertige Film ist noch viel besser als ich damals ahnen konnte.
    Die Story, die herrlichen Bilder und Deine Texte passen einfach wunderbar zusammen.
    Danke dafür.
    Freue mich schon auf Deine nächste Reportage.
    Herzlichst
    Hajo

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