Meditieren in Mazunte

Om Shanti, denke ich. Gerade bin ich in meinem Quartier, einem AirBnb Apartmenthaus in Mazunte, angekommen. Statt des versprochenen  Empfangs durch den Besitzer sehe ich in der offenen Gemeinschaftsküche nur Leute, die schweigend hantieren und aneinander vorbei gucken. Ähm, entschuldigung, wißt ihr vielleicht wo ich meine Schlüssel bekomme? frage ich. Niemand antwortet. Hallo? Jemand zu Hause? Ein junger Mann führt seinen Zeigefinger zu den Lippen und deutet an: wir schweigen. Ach so, ja ne, ist klar. Deswegen bin ich ja hier. Im Yogazentrum gegenüber will ich ein Schweigeseminar machen. Vier Tage Klappe halten, das sollte doch gehen. Aber dass schon jetzt, und noch dazu außerhalb des Zentrums geschwiegen wird, war mir nicht so klar.

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Auch in der Küche wird geschwiegen…und lecker vegetarisch gekocht

Irgendwann habe ich meine Schlüssel bekommen und tags drauf, pünktlich um 7 Uhr morgens, mit dem Schweigen und Meditieren begonnen. Das Yogazentrum Hridaya liegt auf einer Anhöhe zwischen den Dörfern San Augustinillo und Mazunte an der Pazifikküste von Oaxaca. Durch ein großes Tor geht es erst mal den Berg hinauf durch einen schönen Garten bis zum zentralen Platz. Von hier aus hat man einen wunderbaren Blick auf das Meer. Jetzt verstehe ich auch warum ich schon vor Beginn des Kurses auf Schweigende getroffen bin: eine andere Gruppe ist bereits seit 6 Tagen in Silent Meditation und hat noch 4 weitere vor sich. Die Leute erinnern mich ein bisschen an Zoombies. Sie wandeln in der Anlage umher, bestaunen einen Baum oder sitzen einfach da und schauen in den Himmel. Morgens früh, bevor wir anfangen, stehen die Meisten auf der Terrasse und betrachten den Sonnenaufgang, der wirklich spektakulär ist.

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Das Hridaya-Yoga Zentrum in Mazunte

Aber noch faszinierender als das Naturspektakel selbst ist Folgendes: Wir stehen da, jeder für sich und schauen fast andächtig zum Horizont wo sich ganz langsam die Sonne zeigt. Niemand hampelt herum, niemand reckt ein Handy in die Höhe, niemand macht Selfies und -wie wunderbar- es sind auch keine überflüssigen Entzückungsausrufe wie Oh mein Gott, Wow oder Boh, ist das schön! zu hören. Statt dessen: Genuß und Andacht. Das hat was. Ich gewöhne mich schnell an die Stille und finde es eigentlich sehr erholsam, dass niemand spricht und auch sonst keine lauten Geräusche macht.

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Das Schweigen fällt mir also gar nicht schwer. Meine persönliche Herausforderung liegt im still sitzen während der Meditation. Ich war schon immer ein „Hibbel“ wie man in Köln sagt. Ständig in Bewegung. Und jetzt das. Wir haben einen 14 Stunden Tag. Davon etwa 2/3 im Sitzen. Im still Sitzen wohlgemerkt. Draussen tobt der Autoverkehr. Das Zentrum liegt auf einem Hügel und die Landstrasse führt genau daran vorbei. Vor der Steigung drehen die Autos nochmal richtig auf. Gang runter, Gas hoch, der Motor röhrt was das Zeug hält. Ausserdem: Hupen, Lautsprecherdurchsagen für die Rheumacreme, das Bellen von Hunden, das zünden von Knallkörpern und das Kreischen einer Motorsäge von der Werkstatt gegenüber. Und wir? Muksmäuschenstill.

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Meditationshalle im Hridaya-Zentrum

Am zweiten Tag bin ich fertig mit der Welt. Ich kann nicht mehr. Anstatt zu meditieren fahren meine Gedanken Karussell. Wie eine Horde wildgewordener Affen springen sie von Ast zu Ast, kreischend und lärmend. Wir üben Techniken, die die Gedanken runter fahren und Ruhe einkehren lassen. Aber heute klappt gar nichts. Ich könnte mich ja konzentrieren. Doch, doch. Wenn die Fliege nicht wäre. Ihr Summen dröhnt in der Stille. Mehrmals macht sie einen Landeanflug in mein Nasenloch. Ich schnaube. Ich zucke. Ich fange an, um mich zu schlagen. Der Fliege ist es egal. Sie lacht. Ich werde wütend. Scheißfliege, Scheißhitze, Scheißlärm. Was mache ich hier eigentlich.  4 Tage meditieren, keine Unterhaltung, kein Internet, kein Kontakt zu niemandem. Muß ich das machen? Muß ich nicht. In der Mittagspause bin ich wild entschlossen abzubrechen.

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Aber dann mache ich ein Schläfchen und habe einen Traum. Da wird mir klar: ich bin gar nicht auf die Fliege wütend. Meine Wut kommt von ganz woanders. Das viele Meditieren hat blockierte Emotionen losgetreten. E-motion kommt von Bewegung. Wenn so etwas festsitzt, kann es ganz schön behindern. Löst man es, kann die Emotion sich bewegen. Sie kommt und sie geht auch wieder.

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Auch am Strand meditieren viele

Nach dieser Erfahrung fühle ich mich besser und von wegen aufhören! Jetzt wird es gerade interessant. Am letzten Tag, auf dem Höhepunkt unserer inneren Reise und während einer sehr bewegenden, geführten Meditation kommt plötzlich genau im feierlichen Moment der Stille eine mexikanische Blaskapelle vorbei. Ich kann mich kaum halten vor Lachen. Rum-ta rum-ta rum-ta tönt die Mariachi-Gruppe, Trompeten und Tambore dröhnen, Kanllkörper werden gezündet. Ein Feuerwerk an schrägen Tönen.

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San Augustinillo, das Nachbardorf

Zum Ende darf natürlich auch wieder gesprochen werden und wir tauschen Erfahrungen aus. Auch die Gruppe aus dem 10 Tage Seminar hat das Schweigen beendet. Im Garten gibt es Umarmungen, Lachen und Weinen ohne Ende.

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Strahlende Gesichter am Ende des Seminars

Wildfremde Menschen schauen mir tief in die Augen, nehmen mich minutenlang in den Arm als wäre ich ihre nächste Angehörige. Da ist so viel aufrichtige Zuneigung, dass die Luft vibriert. Als ich das Zentrum verlasse fühle ich mich stark und lebendig. Ich bleibe noch ein paar Tage mit Adry, einer jungen mexikanischen Unternehmerin aus Chihuahua, die ebenfalls am Seminar teilgenommen hat. Wir geniessen das Meer. Und die Stille.

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Adry aus Chihuahua

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Der Strand von San Augustinillo

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Mein neues Motto

 

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