Warum schauen wir uns Ruinen an? Vielleicht wollen wir verstehen wie die Menschen damals gelebt haben, woran sie geglaubt haben und woran sie zugrunde gegangen sind. Vielleicht spüren wir aber auch, dass an diesen besonderen Ort eine ganz eigene Energie schwingt, mit der wir uns aufladen können.
Wenn ich Bilder von meiner ersten Rucksackreise 1980 anschaue staune ich immer, wie wenig Menschen dort zu sehen sind. Machu Picchu ohne Touristen? Heute undenkbar. Tiwanaku menschenleer? Wohl kaum. Aber in den 80ern war das so. Man konnte sich einfach hinsetzen, geniessen und eben jenen magischen Orten begegnen.
ohne Worte
Wir hatten damals 10 Filmrollen dabei. Jede Rolle 24 Bilder. Und wir wollten 12 Monate durch ganz Südamerika, von Französisch Guyana über Brasilien, Paraguay, Bolivien, Chile, Peru, Ecuador hoch nach Panama, Honduras, Nicaragua, Costa Rica und Guatemala. Da gab es viele Motive für wenig Film. Manchmal warteten wir stundenlang, um ein Motiv ins richtige Licht zu setzen. Wenn es regnete, stellten wir uns geduldig irgendwo unter, bis endlich die Wolkendecke aufbrach. Wenn die Sonne dann endlich den Tempel oder die Festungsmauer der Inka beleuchtete, machten wir unser Bild. Schließlich hatten wir zuvor viele Stunden im stickigen Bus zurückgelegt. Stets galt: Bloß nicht zu schnell den Auslöser betätigen! Erst alles checken, dann tief einatmen, Luft anhalten und auslösen. Bloß keine Aufnahme verschwenden!
Man muß schon nah ran gehen, um ein Foto ohne Besucher zu bekommen
Die Mayastätte Tulum, südlich von Cancún ist einzigartig, nicht zuletzt wegen ihrer überwältigenden Lage direkt am Meer. Im 13. und 14. Jahrhundert befand sich hier die größte Stadt der Halbinsel Yucatan. Die Tempel dienten u.a. der Beobachtung von Sternen und der Überprüfung des Mayakalenders.
Natürlich möchte Jeder, der gerade in der Nähe ist, diese Stätte besichtigen. Und natürlich möchte jeder gerne Fotos machen. Deshalb ist es voll. Ich dachte ‚ich geh besser früh morgens hin’….aber das dachten andere wohl auch. Menschenströme hangeln sich schwitzend den Weg entlang, zücken Kameras und recken Smartphones in die Höhe. Reiseführer mit angestrengten Gesichtern lotsen ihre Gruppen durch das Gelände, ängstlich bedacht niemanden unterwegs zu verlieren. Um das „beste“ Foto zu ergattern steigen einige über Absperrungen, posieren vor den Ruinen und vor dem Meer, am besten beides gleichzeitig. Dabei ist mancher schon hintenüber gepurzelt, was nicht immer gut ausgegangen ist.
Jetzt mal ehrlich Leute: wer riskiert sein Leben für ein Selfie? Eine aktuelle Studie der Uni Carnegie Mellon in Pittsburgh hat mal nachgerechnet. 2015 starben 39 Personen durch ein Selfie, 2016 waren es sogar über 73. Ein deutscher Tourist starb als er ein Selfie jenseits der Absperrungen in Machu Picchu machte. Die häufigste Ursache ist Sturz in die Tiefe, gefolgt von Angriffen durch wilde Tiere und Begegnungen mit Stromkabeln.
Also: wenn schon nicht aus Respekt vor dem Gastland, dann doch wenigstens im Bewußtsein der eigenen Vergänglichkeit: meine Empfehlung lautet – unbedingt Absperrungen achten!
Nicht zur Nachahmung empfohlen.
Hört sich nach Horror an? Nein, ist es nicht. Sagen wir mal so: ich bin relativ zügig mit den Ruinen durch gewesen. Trotzdem war ich froh, den Weg hierher gefunden zu haben. Auch wenn die Magie des Ortes es schwer hatte, zu mir durchzudringen: ein Fünkchen ist doch zu mir über gesprungen als ich mir vorgestellte, allein auf einem Stein zu sitzen, zu schauen und zu staunen. Mit viel Phantasie geht das. Und danach schön chillen am Strand von Tulum.
schöner chillen am Strand von Tulum
Infos:
Ruinen von Tulum, 130 km südlich von Cancún, geöffnet von 8 bis 17 Uhr. Vom Dorf Tulum aus mit dem Taxi oder mit dem Fahrrad. Der Fahrradweg führt von Dorfmitte bis zu den Ruinen. Fahrzeit etwa 30 Minuten. Ein Leihrad kostet rund 5 Euro (100 Pesos) am Tag