»Machen wir hier gerade eine Zugreise oder sitzen wir auf dem Rücken einer Schildkröte?«, fragte Christian.
»Was den Härtegrad der Sitzgelegenheit angeht, würde ich eindeutig sagen: Schildkröte. Was das Tempo angeht: eher Schnecke.«
Christian saß auf dem Trittbrett, ich auf einer der Plattformen aus Eisen, die vor und hinter jedem Waggon Raum für Frischluftfans bot. Wir waren erst vor zwei Tagen in Costa Rica angekommen, und diese Zugreise von San José nach Puerto Limón schien so etwas wie ein Wink mit dem Zaunpfahl zu sein: Costa Rica war der Inbegriff der Langsamkeit. Die Menschen waren seltsam entspannt, ohne dabei lethargisch zu wirken. Wenn irgendetwas nicht klappte oder anders lief, als geplant, sagte der Tico (so nannten sich die Costa Ricaner selbst): »Pura vida.« Was so viel heißt wie: Mach dir nichts draus, so ist das Leben! Je nach Situation konnte es auch heißen: Das Leben ist schön. Genieße das Leben! Oder auch: Ist mir doch egal!

so sah das Paradies 1980 aus, Cahuita Nationalpark, analoges Foto
Das war 1980. Eine einjährige Rucksackreise führte mich und meinem Reisegefährten Christian nach Costa Rica an die Karibikküste. In dem kleinen Dorf Cahuita, südlich von Puerto Limon mieteten wir eine Hütte am Strand und chillten wochenlang vor uns hin. Cahuita war schon damals Schutzgebiet und Nationalpark, einer der ersten Costa Ricas. Das Wasser glitzerte türkis, kristallklar und spiegelglatt, der weiße Strand war gut 15 Meter breit. Aus den Bäumen, die den Strand säumten, bewarfen uns Kapuzineräffchen mit Nüssen und Aras reckte vorwitzig ihre gelbe Schnäbel aus den Blättern. Es gab in Cahuita nur eine Strasse und eine Bar mit Lebensmittelgeschäft. Daneben ein paar Fischerhäuser und Hütten für Rucksackturisten die meist kamen, um im vorgelagerten Korallenriff zu schnorcheln oder einfach nur am Strand abzuhängen. Kurz: wir hatten das Paradies gefunden.
Der weisse und der schwarze Strand von Cahuita

Nationalpark Cahuita, an manchen Stellen ist der Strand heute fast weggespült
35 Jahre später: alles ist anders
35 Jahre später bin ich zurück gekehrt. Wenig überraschend war, dass in der Zwischenzeit einige Andere den schönen Ort entdeckt hatten. Cahuita war zur einer kleinen Stadt mit zahlreichen Hotels, Hostels und Restaurants angewachsen. Viel mehr schockte mich allerdings, dass der Strand nur noch ein schmaler Streifen war, die Brandung kräftig dagegen schlug und das Wasser dadurch eher trüb war. Einige Fischerhäusschen im Dorf standen bereits im Wasser. Der Meeresspiegel war ganz offensichtlich stark angestiegen.

Klimawandel in Costa Rica: das Meer ist gestiegen
Die Fische ziehen nach Norden, die Fischer auch
Ich sprach einen der Fischer an. Juan Francisco Saballo ist etwa so alt wie ich. Er erinnerte sich sogar an die Gringos, die damals schon mit dem Rucksack kamen und lachte. „hier hat sich viel verändert“ sagte er.

Fischer in Cahuita. Sie machen es wie die Fische: ziehen weiter nach NOrden
\zitat{„Wenn wir früher mit unseren Booten rausgefahren sind und unsere Netze ausgeworfen haben, kamen wir nach ein bis zwei Stunden zurück und hatten rund 50 kg Fisch gefangen. Davon konnte ich meine Familie ernähren und dieses Haus hier kaufen.“

Er kann sein Haus nicht mehr reparieren lassen. Nun verkauft er es
Einst sein ganzer Stolz, steht das inzwischen baufällige Haus heute zum Verkauf
Das Dach müsste dringend gemacht werden, aber der 60ig jährige Fischer hat kein Geld. Würde er heute noch vom Fischfang abhängen wäre seine Familie längst verhungert. Das Wasser ist den Meeresbewohnern zu warm geworden, die Brandung zu stark. Die schützenden Korallenriffe haben sich dem Angriff des Klimawandels ergeben. Die Fische sind nach Norden weitergezogen. Und die Erträge, die Don Saballo aus seinem kleinen Geschäft mit den Touristen bezieht, reichen nicht aus, sein Haus in Schuss zu halten. Deshalb wird er nun den Fischen in das weiter nördlich gelegene Puerto Limon folgen.

Der Sohn des Fischers bleibt
Der Sohn bleibt. Als Wächter des Nationalparks Cahuita
Sein Sohn Jose bleibt. Er ist 38 Jahre alt und Mitarbeiter des Nationalparks Cahuita. Sein Arbeitsplatz hat rund 1102 ha Landfläche und 23.290 ha Meeresfläche, denn auch das steht unter Naturschutz. Es sei der schönste Arbeitsplatz der Welt, sagt er mit strahlenden Augen.

Delphine in Küstennähe vor Cahuita
In diesem karibischen Küstenabschnitt befinden sich unterschiedliche Ökosysteme: Korallenriffe, Sandstrände, Wälder, Flüsse und Mangroven. Im Laufe der Zeit haben sich hier zahlreiche Arten entwickelt. An den Sandstränden brüten Leder- und Grüne Meeresschildkröte und im Wurzelwerk der Mangroven finden Fische und Krustentiere Schutz. Auch die Korallen und marinen Seegrasflächen bieten vielen Arten wie Seeigel, Schwämmen, Fischen und Meeresschildkröten Schutz und Nahrung. Insgesamt beherbergt der Lebensraum Cahuita einundzwanzig verschiedene Reptilien, siebzehn amphibische Arten, zwei Affen- und vier Wildkatzenarten.
Klimawandel ganz konkret
Jose wacht zusammen mit achtzehn anderen Kollegen über den Nationalpark. Wenn er den Besucherpfad abläuft trifft er immer wieder auf angeschwemmte, tote Korallen und stapelt sie an Sammelpunkten. Bis zu zwei Meter hohe Hügel weißer Korallen ragen wie Mahnmale am Wegesrand auf.
„Das sind nicht die Touristen“, sagt Jose, „das ist der Klimawandel. Die Wassertemperatur ist dort empfindlich gestiegen. Es wird ihnen zu warm. Auch die Strömung hat sich verändert und die Gezeiten sind ausgeprägter. Also brechen die Korallen schneller.“
Der Klimawandel hinterlässt Spuren in Costa Rica. Umso besser, dass das kleine Land sich ehrgeizige Umweltziele auf die Fahne schreibt: bis 2020 will Costa Rica klimaneutral sein. Wie das geht, im nächsten Post.
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