Wer hätte gedacht, daß wir im Jahr 2019 immer noch einen Girls-Day brauchen, über Gleichberechtigung und Gender-Pay sprechen müssen? Ich nicht.
Als ich vor fast 44 Jahren, in den 60er Jahren, von der Realschule auf das Gymnasium wechseln wollte bekam ich von meinen Eltern folgenden Spruch zu hören:
„wieso das denn? Was willst du denn mit einem Abitur. Du wirst ja mal heiraten und Kinder bekommen.“
Ich protestierte, bettelte, heulte Rotz und Wasser, schmollte und aß tagelang keinen Bissen. Aber es half alles nichts. Ich war noch minderjährig, musste mich fügen, durfte mein Abitur nicht machen. Und das, obwohl meine Lehrer mit Engelszungen auf meine Eltern einredeten weil ich eine gute Schülerin war und sie mein Potential sahen.
Ich habe mein Abitur dann viel später gemacht, im Alter von 33 Jahren auf dem Zweiten Bildungsweg. Das dauerte 3 Jahre, finanziert durch BAFÖG. Anschliessend – inzwischen Mutter- habe ich studiert bis zum Masterabschluß, wieder finanziert durch BAFÖG. Der ganze Spaß hat fast 10 Jahre gedauert. Die letzte Bafög-Rate habe ich vor ein paar Jahren zurück gezahlt, quasi kurz vor der Rente. Da der Zweite Bildungsweg für die Rente nicht anerkannt wird (es zählt die erste Ausbildung) erwartet mich ein Witz von Rente.
Ich grolle meinen Eltern nicht. Meine Mutter musste noch den Ehemann um Erlaubnis bitten wenn sie arbeiten wollte, brauchte eine schriftliche Genehmigung meines Vaters um ein Konto einzurichten und durfte ohne seine Zustimmung keinen Führerschein machen. Sie haben es nicht besser gewußt. Heute bin ich die Einzige in der Familie, die einen Universitätsabschluß hat. Mein Bruder hatte es deutlich leichter, er war auf dem Gymnasium, hat Abi gemacht, sein Studium aber später abgebrochen und gearbeitet. Keine Bafög-Schulden, mehr Beitragsjahre, bessere Rente.
Während meiner Berufstätigkeit als Freie Journalistin war es mit der Gleichberechtigung auch nicht gerade toll. Als mein Kind 4 Jahre alt war wurde in der Redaktion der Deutschen Welle, wo ich zu der Zeit regelmässig Fernsehbeiträge machte, eine feste Stelle frei. Mein Mann war gerade verstorben, ich war alleinerziehend ohne Witwenrente oder Waisenrente. Die Stelle war wie für mich gemacht, also sprach ich den Redaktionsleiter an. Der sagte:
„vergiß es Gitti, auf die Stelle will sich O. bewerben (männlicher, ein paar Jahre jüngerer Kollege). Selbst wenn du die bessere Qualifikation hast – da hast du keine Chance.“
„Wieso nicht?“ fragte ich. Die Antwort hat mich geradezu umgehauen: „O. hat doch gerade ein Kind bekommen und muss Frau und Kind ernähren.“ ???? „Aber ich habe auch ein Kind und muss es ganz allein groß ziehen“ entgegnete ich. Der Redaktionsleiter zuckte mit den Schultern und antwortete „ja, aber das ist was ganz anderes.“ Erklären konnte er mir das nicht.
Ob mich das wütend machte? Ja. Damals gab es noch keine Gleichstellungsbeauftragte.
Im weiteren Verlauf meiner freien journalistischen Tätigkeit habe ich es immer wieder erlebt, wie männliche Kollegen für gleichwertige Arbeit höhere Honorare bekamen. Wenn ich das ansprach oder selbstbewußt um mein Honorar verhandelte wurde mir mitunter regelrecht gedroht, ich bekäme keine Aufträge mehr, wenn ich als „schwierig“ gelte. Ich würde von mir sagen, dass ich alle möglichen Macken und Kanten habe, aber „schwierig sein“ gehört nicht dazu.
Frauen, die verhandeln und angemessene Honorare für ihre Leistung einfordern gelten als schwierig. Männer, die genau das gleiche tun, gelten als selbstbewußt. Das ist auch heute noch so.
Ob ich deshalb die Männer weniger liebe? Nein. Sie gehen mir manchmal auf den Keks wenn sie mir die Welt erklären wollen, sie nerven mit ihrem Machtgehabe, den autistischen Zügen, den übergroßen Egos und all der Schaumschlägerei. Aber ich liebe sie.
Wir sollten bei all der berechtigten Genderdiskussion nicht vergessen, daß es viele emphatische, sensible, leise, rücksichtsvolle und einfühlsame Kerle gibt – die wir im lauten Getümmel auch gern mal übersehen. Deshalb Ladys, schaut hin, es gibt sie!