Es gibt wohl kaum eine andere Art der Fortbewegung, die so viel geballte Emotion mit sich bringt. Und damit meine ich nicht Freude am Reisen und Liebe zur Schiene sondern Frust, Ärger und Wut. Ich will hier kein Bashing betreiben. Seitdem ich mein Auto verkauft habe bin ich auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Ich bin dankbar für jeden Bus, für jeden Zug, der mich dorthin bringt wo ich hin will. Und könnte schreien vor Glück wenn alles nach Plan läuft. Leider passiert das immer seltener.
Wir bitten um Entschuldigung
Im Oktober hatte ich ein Monatsticket zwischen Bonn und Köln für 165 Euro. Damit darf ich alle Züge bis auf den ICE benutzen, also Regionalbahnen und IC. Die Regionalbahn ist – nach Fahrplan- 25-45 Minuten unterwegs, je nach dem wie oft sie hält. In Echt braucht sie oft schon 15 Minuten allein von Köln Hauptbahnhof bis Köln Süd. Hält hier, hält dort, steht, fährt ein paar Meter, steht erneut…außerplanmässig versteht sich. Die Entschuldigungsansagen sind kreativ, bisweilen komisch: Zug fährt voraus (what?), vorrangiger Zug muss vorbei gelassen werden (hä? Wo ist die Überholspur?) witterungsbedingte Verzögerung (bei Sonne, Regen, Wind und Schnee aber gern auch ohne Sonne, Regen, Wind und Schnee). Manchmal heißt es auch lapidar „wir haben einen außerplanmäßigen Halt. Der Grund hierfür ist unbekannt. Wir bitten um Entschuldigung„. Auch schön, wenigstens ehrlich. Die Uhr läuft, der Termin wartet, der Anschlußzug wartet nicht.
Zug fällt aus – sieh zu wie du klar kommst!
Die Fahrt im Intercity dauert planmässig 20 Minuten. Ohne Halt geht es von Bonn Hbf nach Köln Hbf. Das sind meine Lieblingszüge. Wenn sie nicht ausfallen. Ein lapidarer Hinweis auf der Anzeigentafel: „Zug fällt aus„. Zack. Zwischen den Zeilen steht: ’sieh doch zu wie du klar kommst. Ist mir doch egal‘. Danke liebe Bahn. Zahlen darf ich für den Intercity und nehmen muss ich die Bummelbahn (siehe oben) An einem Tag fielen mehrere Züge hintereinander aus. Ohne Begründung. Ungestraft. Aber wehe, wehe der Kunde macht einmal einen Fehler. Bluten soll er, der doofe Kunde. Schimpf und Schande und ein Bußgeld über ihn.
Ein Erlebnis der besonderen Art für 60 Euro
Neulich zum Beispiel. 4. Oktober. Monatsanfang. Lange Schlangen im Reisezentrum Bonn. Nur 3 Schalter besetzt. Ich kenne das schon. Deshalb kaufe ich die Zeitkarte jetzt nicht. Stattdessen habe ich am Vorabend eine Einzelfahrt mit der mobilen App und Bahncard 50 gekauft. Der Plan: ich fahre nach Köln und kaufe die Monatskarte dort. Da sind viele Schalter, der Service ist besser. Im Intercity kommt der Schaffner. Ich habe mir seinen Namen notiert. Nennen wir ihn Herr M. Muffelig bellt er: ‚Zugestiegene die Fahrkarte„.
Nonsens-Sätze kann die Bahn bekanntlich gut. Auch sehr beliebt bei verspäteten Zügen: ‚Einfahrt 8 Uhr 25 IC 3115 aus München. Abfahrt war 7 Uhr 50.‘ Merkt eigentlich keiner wie unsinnig das ist? Ein Zug der schon abgefahren ist kann nicht ankommen. Jedenfalls nicht im gleichen Bahnhof. Warum kann man nicht sagen ‚geplante Abfahrt war‘. Weil dann jeder merkt, dass der Zug Verspätung hat? Merkt man auch so, liebe Bahn, weil der Kunde nämlich seit über 30 Minuten auf einem randvollen, zugigen Bahnsteig im Gedrängel steht, friert und sich ärgert.
Aber zurück zur Begegnung mit dem unausgeschlafenen Schaffner Herr M. Ich zücke mein Handy und will die herunter geladene Fahrkarte zeigen. Aber unter meine Tickets ist gähnende Leere. Wo gestern noch zahlreiche Fahrkarten unter Monat lagen, liegt nichts mehr. Rein gar nichts. Unter ‚heute‚ auch nicht. Alles weg. Ich bin verwirrt. „In der Nacht hat mein Mobilgerät ein Update gemacht. Könnte es daran liegen?“, frage ich freundlich den Schaffner. Der guckt mit eisblauen Augen durch mich hindurch und ringt sich einen Halbsatz ab: „nicht mein Problem, Personalausweis“. Erschrocken reiche ich ihm brav mein Ausweisdokument und sage, „aber ich kann die Fahrkarte ja vielleicht wieder herstellen und später vorzeigen. Oder einfach eine Fahrkarte jetzt im Zug lösen“ Schliesslich ist das ein Intercity. Im Zug lösen erlaubt. Herr M. blickt stumm im Abteil herum, schreibt, reicht mir den Personalausweis zurück und sagt: „ich muss mal eben eine Durchsage machen, bin gleich wieder da.“ Sprach’s und ward nicht mehr gesehen. Hat mir nichts mitgegeben, keinen Schein, keine Zahlungsaufforderung. Sagt ‚bin gleich wieder da‘ und ist weg. What? Ich bin sprachlos, irritiert, zucke mit den Schultern und kaufe wie geplant am Kölner Bahnhof das Monatsticket, gültig ab 4. Oktober bis 3. November.
Bahn modern: Leo im Chat
4 Wochen später bekomme ich einen Fahrpreisnacherhebungsaufforderung plus 6 Euro Mahngebühr für eben jene Begegnung am 4. Oktober. Ich hätte das ja noch nicht bezahlt, soll das binnen 10 Tage überweisen, andernfalls Inkassounternehmen. Bahn, spinnt ihr eigentlich? Ich melde mich auf der Nacherhebungs-Website. Modern. Da kann man chatten. Leo ist mein Chatpartner. Ich duze ihn. Bin freundlich, mache Scherze. Das macht man so im Chat. Aber Leo siezt, ist frei von Humor, und geht auf meine Geschichte nicht ein. Interessiert ihn nicht. Ich möge meine Monatskarte hochladen. Mache ich. Die habe ich aber nach der Zugfahrt gekauft, sagt Leo, daher könne er sie nicht akzeptieren. Ich soll bezahlen. 60 Euro. Und wirft mich aus dem Chat bevor ich noch Piep sagen kann. Erneutes Chatten nicht möglich. Gleiche Attitude wie ‚Zug entfällt‘. Sieh zu wie du klar kommst.
1 Monat Dauerbummeln
Ich hatte in diesem Oktober Monat mit meiner IC-Netzkarte kaum Gelegenheit mit dem Intercity zu fahren. Die Verbindungen wurden entweder gecancelt (Zug fällt aus) oder sie hatten erhebliche Verspätung. 30 Minuten, mitunter 60 oder manchmal auch 120. Meine Frage, ob die Fahrgastentschädigung auf für Netzkarten gilt hat Chat-Leo übrigens ignoriert.
Einmal war der Zug aber pünktlich im Oktober! Köln HBF, es ist abends, ein langer, anstrengender Tag liegt hinter mir. Ich steige ein, setze mich und lächele dankbar. Ach, wie schön, der Intercity ist pünktlich, ich habe einen Sitzplatz und bin gleich zu Hause. Aber der Zug fährt aber nicht ab. Dann die Durchsage: Wir warten auf den Lokführer der auf einem verspäteten Zug sitzt. Die Abfahrt verzögert sich um etwa 20 Minuten. Warum zum Teufel kann der Lokführer nicht 2 Züge früher nehmen, so wie alle Bahnkunden die irgendwie pünktlich zur Arbeit wollen. Bahn. Echt jetzt. So nicht!
Ja, ja, ja! Was soll man sagen, außer alles Gesagte zu bestätigen. Auch ich bin hin- und hergerissen zwischen Dauer- und Endlosbaustellen auf der Autobahn und der Hilflosigkeit gegenüber der Bahn. Was ist unerträglicher? Es ist wohl ein Gefühl der Kontrolle, des „In-der-Hand-Habens“, das nach solch geschilderten Bahnerlebnisses wieder zum Lenkrad greifen lässt. Um dann anschließend wieder mit einem pünktlichen, schnellen und auch preiswerten ICE zu liebäugeln. Bis zum nächsten Frusterlebnis. Mal sehen, wie das endet!?
Übrigens: Schau gerne mal auf unseren Blog „71statt17.de“. Wir würden uns freuen.
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