Unsere Verabredung mit dem Leben findet im gegenwärtigen Augenblick statt. Und der Treffpunkt ist genau da, wo wir uns gerade befinden (Siddhartha Gautama)
Es ist einfach so passiert. Ohne Vorsatz. Ich hätte ja schon vor der Reise sagen können: ok, diesmal mache ich alles anders. Ich reise ganz langsam. Ich mache Slowtravel. Hab ich aber nicht.
Fahren oder bleiben?
Eigentlich wollte ich nach einer Ayurveda-Kur in Asien ‚rumreisen‘. Südindien anschauen, von Ort zu Ort fahren, mit Zügen und Bussen. Es gibt so viel zu sehen! Aber ich hatte keine Lust. Ich war, gelinde gesagt, ausgesprochen träge. Es mag an der Kur gelegen haben. Überraschend bekommt das Nichtstun einen positiven Anklang. Körper und Geist gewöhnen sich an den Ruhemodus, Input unerwünscht. Ich hatte keine Lust zu lesen, kein Bedürfnis nach Abwechslung und tatsächlich war jeder Sinnesreiz außerhalb der Ayurveda-Anlage schon einer zu viel. Jedes Hupen, jedes Reklameschild, jede Information schien mich zu überfordern. Und weil in Indien viel und laut gehupt, gewuselt und geredet wird dachte ich: ok, dann mache ich etwas Ruhigeres, fliege von Trivandrum nach Bangkok und reise in Thailand.

Tempel wie Sand am Meer, Kerala, Somatheeram
Gesagt, getan. Bangkok hab ich gleich übersprungen. Zu groß, zu laut, zu hektisch. Ja wie? höre ich alle Reiselustigen rufen. Kein Ayutthaya-Tempel, keine Flußfahrt auf dem Chao Phraya, keine schwimmenden Märkte? Das muss man doch gesehen haben! Muß man wirklich? Ich habe ganz bewußt davon abgesehen. Das war kein Verzicht sondern ein Bedürfnis, es nicht zu tun.
Was treibt uns eigentlich so auf Reisen?
Ich kenne wohl diesen inneren Druck auf Reisen: nun bin ich schon mal hier, da muß ich doch dies oder das machen. Wir haben so viel Information über das, was es zu sehen oder zu erleben gibt, daß wir permanent das Gefühl haben etwas zu verpassen wenn wir unsere Liste mit Sehenswürdigkeiten nicht abhaken. Und fast bekommt man ein schlechtes Gewissen, wenn man diesen Ausflug nicht macht und jenen Tempel nicht besichtigt. Am Ende sind wir dann völlig erschöpft von all den Eindrücken, haben ein Bildergewitter im Kopf und können die Erinnerungen kaum noch zuordnen. Oft weiß ich schon nach 3 Tagen nicht mehr wo ich was gesehen oder getan habe. Und wenn wir dann mal inne halten meldet sich gleich das Stimmchen aus der Kopfzentrale: Nun hast du schon mal die Möglichkeit das anzuschauen, da kannst du doch nicht einfach den ganzen Tag in einem Cafe am Straßenrand sitzen? Oder in einem ganz gewöhnlichen Park spazieren gehen? Doch, kann man. Erstaunlich ist, das man dabei ganz neue Dinge entdeckt. Dinge, die in keinem Reiseführer, auf keinem Reiseblog zu finden sind.

Chiang Mai soll mehr Tempel als Jahrestage haben
Achtsamkeit schärft die Sinne
Ich habe mal ein Achtsamkeitstraining nach Jon Kabatt-Zinn gemacht. In der ersten Stunde mussten wir mit geschlossenen Augen zunächst etwa 5 Minuten eine Rosine zwischen den Fingern tasten, dann daran riechen, dann zwischen den Lippen halten, dann im Mund lutschen. Das ganze dauerte etwa 15 Minuten. Erst dachte ich ‚Oh mein Gott, wie langweilig, hoffentlich ist das bald vorbei‘. Aber am Ende war ich völlig überrascht welche Geschmacksexplosionen sich da offenbarten. So ähnlich ist es mir mit dem Slowtravel auch ergangen.
In der Altstadt von Chiang Mai wohnte ich in einer ruhige Nebenstrasse mit einigen Cafes und Restaurants. Am ersten Tag bewegte ich mich nur in dieser Strasse, danach habe ich langsam meinen Radius erweitert. Ohne Eile. Ich entdeckte „mein Cafe“ wo eine junge Frau namens Moh mit einer solchen Hingabe frischen Filterkafee aufbrühte, dass das bloße Zusehen wie eine Meditation auf mich wirkte.

frischer Kaffee aus eigener Röstung in Chiang Mai
Ich fand „meine“ Garküche wo auf großen, zu Kohlegrill umfunktionnierten Tonnen frischer Fisch bruzzelte und die ganze Familie den Restaurantbetrieb mit einer Leichtigkeit und Freude am Laufen hielt, dass trotz emsiger Geschäftigkeit kein Eindruck von Streß entstand.

Die beste Garküche ever, Chiang Mai
Manchmal saß ich stundenlang auf der Terrasse meines Guesthouses und beobachtete einfach das Treiben auf der Strasse. Jeden Tag kam eine alte Frau mit einem großen Wäschesack auf der Schulter und einer kleinen Katze im Arm vorbei. Am dritten Tag folgte ich ihr. Sie hatte nur wenige Häuser weiter einen kleinen Laden wo sie für ihre Kunden Wäsche wusch. Für 40 Baht, umgerechnet etwa 1,20 Euro pro Kilo.
Während die Maschine im Innern ihren Job tat, saß sie auf einem Schemel draußen und kraulte ihr Kätzchen. Ich sprach sie an. Sie sei 72 Jahre alt, erzählte sie. In dem Alter bleibe man in Thailand normalerweise zu Hause bei einem der Kinder und kümmert sich bestenfalls noch um das Enkelkind. Aber sie habe keine Kinder, deshalb führe sie den Wäscheladen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das Kätzchen sei ihr Baby.
Krass, dachte ich, in einer Gesellschaft, wo die ganze Altersversorgung über die Familie läuft, keine Familie zu haben, ist wirklich tragisch. Und ich hätte die alte Dame sicher nicht kennen gelernt, wäre ich statt dessen auf die Elefantenfarm gefahren, in einer Höhle schwimmen gegangen oder von einem Tempel zum anderen gehetzt.

Kurios: in jedem Tempel bemerkte ich eine sekundengenaue Uhrzeitangabee (hier oben rechts im Bild)
Aus 3 Tagen wurden 3 Wochen
Von Chiang Mai bin ich nach Pai gefahren, einem Bergdorf, etwa 5 Autobusstunden nördlich. Von dort aus wollte ich dann wirklich reisen. Aber in Pai passierte das gleiche wie in Chiang Mai. Ich war immer noch im Langsamkeitsmodus. Und so wurden aus den geplanten 3 Tagen fast 3 Wochen.
Ich stellte fest: wenn du bleibst entwickelt sich so etwas wie Alltag. Mein Guesthouse lag außerhalb von Pai auf einer Anhöhe. Mit Blick auf das Tal trank ich hier früh morgens meinen Tee und aß frisches Obst. Zu dieser frühen Stunde hing die Kühle der Nacht noch in Nebelschwaden über dem Fluß und die ersten Sonnenstrahlen tauchten die hellgrünen Reisfelder in warmes Licht.

Reisfelder von Pai
So saß und genoß ich den Anblick 1 oder 2 Stunden, manchmal in ein Gespräch vertieft mit einem anderen Gast. Danach schlenderte ich über einen kleinen Pfad den Berg hinunter, überquerte die Bambusbrücke und trank dort, direkt am Fluß, einen aufgeschäumten Machatee.

Bambusbrücke am Fluß Pai
Während der 3 Wochen schaute ich vom immer gleichen Standort aus zu, wie am Ufer ein Wasserschaufelrad aus Bambus gebaut wurde, um das Flußwasser auf das Reisfeld umzuleiten. Etwas weiter flußaufwärts wurde eine neue Bambusbrücke errichtet. Direkt unterhalb meines Tisches kontruierten zwei junge Männer ebenfalls aus Bambus eine schwimmende Plattform, auf der die Menschen zum Lichterfest ihre kleinen Schiffchen aus Bananenblättern wässern sollten. Ich sah, wie sich die maigrünen Reisfelder verwandelten: der Reis wurde geerntet, das Stroh verbrannte in der Sonne und der dunkelbraune Boden wurde gepflügt und für die neue Ernte vorbereitet. Ich lernte Menschen kennen: die Thai-Masseurin, die ich jeden 2. Tag aufsuchte, die alleinerziehende Mutter von 5 Kindern mit ihrer Garküche, den Schweizer, der hier seinen Lebensabend verbringt, Backpacker, die seit Monaten durch Südostasien tourten. Ich verbrachte Stunden im Tempel, lauschte den Gesängen der Mönche und ließ mich von ihrer Andacht verzaubern.

einfach zuhören…in einem Tempel von Chiang Mai
Schließlich war es soweit: nach 3 Wochen Slowtravel in Nordthailand musste ich zurück nach Bangkok um meinen Flug nach Deutschland zu erwischen. Diesmal bin ich gar nicht erst rein gefahren in die Stadt, sondern einfach in einem Flughafenhotel geblieben. Und ich hatte nicht das Gefühl etwas zu verpassen. Im Gegenteil: selten habe ich eine Reise so intensiv erlebt wie in Nordthailand, obwohl (oder weil) ich fast die gesamte Zeit an einem Ort war.
Weiterführende links:
Du möchtest auch mal auf eigene Faust durch Asien reisen, traust dich aber nicht? Einen ganz detaillierten Reiseführer hat meine Kollegin Alexandra Sefrin geschrieben. Dabei richtet sie sich besonders an Menschen, die vielleicht zum ersten Mal mit dem Rucksack. du kannst den Reiseführer hier anschauen, probelesen und bestellen.
Mehr über meinen Ayurveda Aufenthalt in Indien findet ihr im Menu unter Indien.
Zum Ayurveda geht es hier, was Doshas sind erfährst du hier
Tipps zur Ayurveda- Ernährung gibt es hier und zu den Heilkräutern geht es hier lang.